WINTZENRIED

Szenische Lesung aus dem Roman von Karl-Heinz Ott

Zurück zur Natur- das ist das Credo von Jean-Jaques Rosseau. Das kennen wir von ihm. Aber wer war dieser Rousseau? Immerhin hat er »Bekenntnisse« geschrieben, die vor allem eines nicht sind: eine Lebensbeschreibung. Das ist auch Karl-Heinz Otts Roman nicht, aber er kommt dem wirklichen Leben des Philosophen schon sehr nahe. Seine Annäherung ist eine sehr ironische Betrachtung des Aufstiegs von Jean-Jacques Rousseau zu Europas leitendem Universalkauz: ein Menschenfeind, den die Philanthropen liebten und den Artverwandte – wie etwa Nietzsche - verfluchten. Ott stutzt den Popstar der (Anti-)Aufklärung auf Menschenmaß zurück, zeigt ihn als talentierten Aufschneider und sozial Inkompetenten, der bemitleidenswert durch eine Moderne stolpert, die ihn nicht nötig hatte. Und in der szenischen Lesung zu hören und zu sehen, wie jemand, der die ganze Welt als feindselig wahrnimmt, sich zum Feind der ganzen Welt macht, um dann - trotz aller Zivilisations-, Frauen- und Erziehungsansichten - ihr Held zu werden, das ist ein einziges Vergnügen. Wintzenried hieß übrigens jener Perückenmacher, der Rousseau in jungen Jahren die dreizehn Jahre ältere, »Maman« genannte Geliebte ausspannte

 

 

Kritik aus dem Ostholsteiner Anzeiger vom 13.04.2019

Rousseau in anderem Licht

von Rosemarie Schild:

Eutin: Manch einer, der es zu Ruhm und Ehren brachte, war in seinem Leben durchaus weniger ehrenwert. Und gesellschaftlich anerkannt zu sein, bedeutet nicht, das eigene Leben gemeistert zu haben, geschweige den vorbildlich gelebt zu haben So war auch der große „Aufklärer“, Schriftsteller, Komponist und Philosoph Jean-Jacques Rousseau durch aus ein anderer, als es in Schulen vermittelt wird. Diese andere Seite wurde am vergangenen Donnerstag einem kleinen, hoch interessierten Publikum im „Binchen“ nahegebracht.

In einer szenischen Lesung mit den Schauspielern Christian Kaiser und Christian Dieterle, die Ausschnitte aus dem Buch „Wintzenried“ von Karl-Heinz Ott inszeniert hatten, entpuppte sich Rousseau als ein von Größenwahn, sexueller Sucht und Paranoia geplagter Egomane, der sich in seiner Verzweiflung am eigenen Leben mit möglichst jedem überwarf. Keine Ursache von
Schwierigkeiten bei sich selber suchte, sondern alles Äußere als böse wähnte und sich dabei in die absurdesten Ideen verstieg zum Beispiel „Frauen wecken Begierden, die Männer natürlicherweise nicht haben“. Wie machen sie das? Seine Aussage, dass das Volk nicht wisse, was gut für es sei und darum einen Führer brauche, ist so aberwitzig wie immer wieder gern geäußert, durchaus auch heute noch. Rousseau aber setzt noch einen drauf. Nur drei Menschheitserzieher habe es gegeben: Sokrates, Jesus und ihn selbst. Ganz fehl am Platz fühlte der „unter Menschen Geborene und doch einer ganz anderen Gattung Angehörende“ sich in dieser Welt. Sollte man es am Ende mit einem psychisch schwer gestörten Menschen zu tun haben, dessen widersprüchliche Schriften noch heute geehrt sind? Trau, schau, wem.

Karl-Heinz Otts „Wintzenried“ - Wintzenried war der spätere Geliebte Rousseaus einstiger Geliebten, woraus er sich ein lebenslanges Drama knüpfte - ist keine Biographie über Rousseau, wohl aber erzählt Ott aus dessen Leben, zitiert, enttarnt. Ironisch und bissig, dabei ungeheuer kurzweilig.

Christian Dieterle und Christian Kaiser, beide aus der Nähe von Zürich kommend und in Berlin lebend, spielen schon seit ihrer Schulzeit immer wieder zusammen auf unterschiedlichen Bühnen. Die Selbstverständlichkeit und Vertrautheit, die ihr Spiel begleiten, teilt sich dem Zuschauer als eine gewisse Leichtigkeit mit. Mit kleinsten äußeren Mitteln gelingt es ihnen, die mit unterschiedlichen Lesungen schon früher in Eutin waren, das Publikum fiir sich zu gewinnen. Wenige, gezielte Gesten, Positionswechsel, ein übergeworfener Kaftan zur Unterstreichung der Rolle, wohlgesetzte Akzente mittels der Musik von Rousseau und natürlich ihre Professionalität ihrem Einsatz von Stimme und Sprache - eingespielt und perfekt aufeinander abgestimmt - ein toller Abend,unbedingt sehens- und hörenswert.

  • WINTZENRIED

    Christian Dieterle

    WINTZENRIED

  • WINTZENRIED

    Christian Kaiser

    WINTZENRIED